Eigentlich hatte Denis Sayin im Jahre 2007 im Alter von 16 Jahren nur auf die U-Bahn gewartet. Was dann genau geschah, weiß er nicht mehr: Es kam zu einem schweren U-Bahnunfall mit der Folge, dass er zwei Monate im Koma lag. Als er aufwachte, war er an den Rollstuhl gebunden. Er hatte zahlreiche Knochenbrüche, Sehnenabrisse usw. erlitten. Die Muskulatur hatte sich während der Bewusstlosigkeit fast komplett zurückentwickelt. Denis Sayin war vollkommen hilflos; er konnte nicht mehr sprechen, selbstständig essen, laufen oder sich aufsetzen. Es folgte eine langwierige Rehabilitations- und Genesungszeit, in der er mühsam die alltäglichen Dinge wiedererlernen musste. Irgendwann stand er vor der Frage, entweder die Reha-Maßnahmen fortzusetzen oder die schulischen und beruflichen Belange wahrzunehmen. Er entschied sich für eine zweite Reha, durch die er nach etwa einem Jahr auf den Rollstuhl verzichten und mit Gehhilfen laufen konnte.
Bedingt durch den Unfall war Denis Sayin nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Auch eine entsprechende Therapie „Training an Haltestellen“ half nicht. Die Hauptschule abzuschließen oder eine Ausbildung zu beginnen, schien aussichtslos. Daher versuchte er, wenigstens eine Praktikumsstelle zu finden. Aber auch das scheiterte. Ein Gefühl der Wertlosigkeit machte sich breit: „Ich bekam einfach keinen Praktikumsplatz. Obwohl den Firmen keine Kosten entstanden, wollte mich keiner haben.“
Trotzdem gab er nicht auf. 2016 nahm er an Berufsfindung- und Arbeitserprobungsmaßnahmen im Berufsförderungswerk Oberhausen (Bfw) teil. Hier zeigte sich, dass Denis Sayin wesentliche schulische Grundlagen fehlten. Mit Eifer und Ehrgeiz arbeitete er Selbstlernhefte in Mathematik und Deutsch Stück für Stück durch. Seine Familie finanzierte ihm in der Zeit Führerschein und Auto.
Mit Hilfe des Bfw und der Arbeitsagentur konnte Anfang 2018 ein Ausbildungsplatz zum Fachpraktiker für Bürokommunikation gefunden werden. Er besuchte nun das Max-Weber-Berufskolleg. Sehr schnell integrierte er sich in die schon bestehende Klasse. Er wurde von allen akzeptiert und geschätzt. Seine Motivation stieg innerhalb kurzer Zeit erheblich an und seine Leistungen und seine Leistungsbereitschaft verbesserten sich in erstaunlichem Maße. Denis Sayin wurde im laufenden Schuljahr zum Klassensprecher gewählt und ist für alle Schülerinnen und Schüler der Klasse Ansprechpartner, Berater und Freund. Denis Sayin gelang es regelmäßig bei Konflikten erfolgreich zu vermitteln.
Der Sozialverband VdK NRW vergibt den „vilmA„-Preis alle zwei Jahre an Menschen mit Behinderung in Beschäftigung und Ausbildung. Der Name vilmA steht dabei für vorbildlich, individuell, leistungsstark und motiviert in der Arbeitswelt. Mit der Auszeichnung werden bis zu acht Kandidatinnen und Kandidaten aus NRW mit einem Preisgeld von jeweils 1.500 Euro gewürdigt.
Die verantwortlichen Lehrer des Max-Weber-Berufskollegs haben Denis Sayin zusammen mit dem Bfw für den „vilmA“-Preis vorgeschlagen. In der Begründung hieß es u. a., dass „er in vorbildlicher Weise soziale Komponenten mit kritischem Denken und Handeln in Einklang bringt. Er ist niemals angepasst und trotzdem liebenswert. Vor dem Hintergrund der Schicksalsschläge, die er verarbeiten musste, erscheint dies mehr als bemerkenswert.“
Denis Sayin gewinnt den Preis in der Kategorie „Auszubildende“.
Frank Busch
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